Meine Pferde
„Lilly“ wurde etwas zu früh geboren. Sie lag wie ein Hund mit angezogenen Beinen im Stall, als ich morgens zum Füttern kam und regte sich nicht. Sie versuchte nicht aufzustehen und hatte eigentlich mit dem Leben schon abgeschlossen, bevor es richtig angefangen hatte. Bestürzt und hilflos tat ich instinktiv das Einzige was mir übrig blieb, ich nahm sie auf den Schoß und wiegte sie hin und her wie ein kleines Kind. Sie ließ alles mit sich geschehen. Ich sprach mit ihr und erzählte ihr, was wir alles zusammen machen würden und wie schön es wäre über eine Wiese zu galoppieren. Als ich keine Worte mehr fand, erinnerte ich mich an meine Kinderlieder und sang ihr alle Strophen vor, die ich noch zusammen bekam. All die Zeit tropften meine Tränen auf ihr weiches Fell, wir waren ganz allein wir zwei und ich war verzweifelt.
Zu schwach zum Leben Meine Hände massierten ihren Körper und dank der Arbeit mit meiner Freundin Linda, wusste ich, wie wichtig es war, die Ohren mit dem TTouch zu bearbeiten. Stunden vergingen. Die Stute kam immer wieder mit ihren weichen Lippen und versuchte ihr Fohlen zum Aufstehen zu animieren. Fragend stieß sie auch immer wieder an meine Schulter. Lilly war ihr 5. Fohlen und sie war nicht in Panik, aber doch sehr besorgt. Irgendwie hatte sie jedoch die Verantwortung an mich übergeben. Also musste ich was tun, pumpte die Milch aus dem prallen Gesäuge und versuchte es der Kleinen mit einer Flasche und Nuckel einzuflößen. Doch sie wollte nicht schlucken und drehte den Kopf weg. Wenn ich das kleine Wesen hochhob und auf seine kleinen fragile Beinchen stellen wollte, plumpste es sofort wieder in sich zusammen und machte keine Anstalten aus eigenem Antrieb einen Versuch zu unternehmen.
Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf, ob sie einen Gehirnschlag hätte oder einfach zu schwach wäre.
Doch Lilly war eine Kämpferin Es vergingen Stunden, ich hatte Angst wegzugehen, denn ich fühlte ihr Leben hing an meiner Anwesenheit. In diesen Stunden war ein unsichtbares Band zwischen uns entstanden. Sie reagierte auf meinen Körper, ja sogar auf meine Gedanken. Jedes Mal, wenn ich mir sagte, so jetzt musst du aufstehen und den Tierarzt anrufen, blickte sie mich an und sagte „bleib doch“. Menschen, die gerne helfen wollten kamen und gingen wieder, weil sie sahen, dass nichts zu tun war, außer uns in Ruhe zu lassen. Wenn ich zurückblicke, so glaube ich heute, dass meine Lebenskraft in Lilly hinein floss in diesen Stunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen. Irgendwann zuckte sie mit den Vorderbeinen, die ich in meiner Hand hielt und wo ich immer wieder die frische Hufschale drückte. Irgendwann sagte sie zu mir: „Wenn Du unbedingt willst, dass ich hier bleibe, dann werde ich mal versuchen aufzustehen“. Ein Zittern ging durch ihren kleinen, zerbrechlichen Körper und der Impuls zum Aufstehen durchzuckte sie ... und mich.
Es dauerte zwar noch eine halbe Stunde, doch dann balancierte sie schwankend auf ihren Beinchen und suchte die Milchzitzen. Doch sie war so klein, dass sie sich wirklich strecken musste, um sie zu erreichen. Ich spritze ihr die Milch direkt ins Mäulchen, welche sie dann genüsslich ableckte. Als ich sicher sein konnte, dass sie sich weiterhin anstrengen würde um zu trinken, bekam ich einen Weinkrampf und lies mich gemeinsam mit ihr wieder ins Stroh fallen. Sie schmiegte sich an mich und schlief ein. So ausgepumpt und emotional erschöpft war ich noch nie in meinem Leben. Es war um Leben und Tod gegangen und wir haben den Kampf gewonnen – zusammen – Lilly und ich.
Eine besondere Patentante Wenige Tage nach ihrer Geburt besuchte mich meine Freundin Linda Tellington-Jones und ich erzählte ihr die ganze, emotionale Geschichte von Lillys Geburt. Linda hatte sofort eine ganz besondere Verbindung zu dem kleinen Stutfohlen: "... Lilly war so winzig und wunderschön. Sie hörte jedem Wort zu, das ich sprach und sie reagierte auf die kleinste Berührung. Ein wundervolles Wesen, das es genoss, auf meinem Schoß zu liegen... und ich genoss es ebenso, mit ihr zusammen zu sein. ..." Zusammen mit Linda haben wir Lilly dann feierlich mit Sekt getauft und sie wurde zu ihrer Patentante. Eine Tradition, die wir ab diesem Zeitpunkt mit den anderen Fohlen fortführten, die bei mir geboren wurden.
Lilly wurde das unbändigste und wildeste und lustigste Fohlen, das ich jemals hatte.
Kein Mensch konnte sie festhalten oder bändigen, sie ging durch Zäune, wirbelte den Schmied mehrmals durch den Stall und trieb allerlei Unfug ... nur bei mir ist sie heute noch anschmiegsam und brav wie ein Lämmchen.
Mittlerweile ist Lilly ruhiger und erwachsen geworden und ist ein unverzichtbarer Teil meiner kleinen Pferdefamilie. Sie hat sich ganz besonders mit meinem Hispano-Araber Rociero angefreundet – die beiden sind wie Pech und Schwefel und halten immer zusammen.
Ein wunderschönes Erlebnis mit Lilly, es lohnt sich zu kämpfen .